Weltbürger im Labyrinth

Zum hundertsten Geburtstag des großen Unbekannten der spanischen Literatur: Max Aub.

Der Romanist und Übersetzer Albrecht Buschmann nannte ihn einen Weltbürger zwischen den Kulturen. Doch was sich auf den ersten Blick als die Lebensstationen eines Kosmopoliten liest, ist doch nichts anderes als die bittere Geschichte der Wanderschaft wider Willen, der rastlosen Flucht vor den antisemitischen Mordbrennern des 20. Jahrhunderts: Geboren in Paris als Sohn des deutschen Handelsvertreters für Luxusjuwelen Friedrich Aub und der Französin Susanne Mohrenwitz, wächst Max Aub im Umfeld einer großbürgerlichen Familie auf. Mit Ausbruch des 1. Weltkrieges wird der Vater zur Person non grata. Die Familie Aub flieht nach Spanien, nach Valencia. Max Aub wird erst in später Jugend von seiner jüdischen Abstammung erfahren. 1915 schreibt der junge Aub sein erstes Gedicht auf Spanisch. Mit 21 Jahren entscheidet er sich für die spanische Staatsbürgerschaft. Das Studium ist nichts für den angehenden Autor der umfangreichsten Chronik des Spanischen Bürgerkrieges. Das Stigma der Wanderschaft bildet sich auch in seiner Berufswahl ab: Er tritt in die Fußstapfen des Vaters und wird Vertreter. Auf seinen Handelsreisen quer durch Spanien und Europa knüpft er Kontakte mit führenden Vertretern der Avantgarde, die später auch seine Freunde werden: Jorge Guillén, Gerardo Diego, Federico García Lorca oder Luis Bunuel. Doch nicht nur intellektuelle, sondern vor allem jene Begegnungen mit den unterschiedlichsten Repräsentanten aller sozialer Schichten im Spanien unmittelbar vor Ausbruch des Bürgerkriegs, verschaffen Aub für sein späteres Opus Magnum ein ungeheures Wissen. Diese „Vertreter-Poetik“ schlägt sich im „Magischen Labyrinth“ durch eine Vielzahl an dialogischem Material nieder, das ein breites Panoptikum der spanischen Zivilgesellschaft dokumentiert. Seine ersten experimentellen Theaterstücke und Prosatexte veröffentlicht er in der Zeitschrift „Revista de Occidente“, herausgegeben von dem Philosophen Ortega y Gasset. Mit dem Aufstieg der faschistischen Diktatoren in den 30er Jahren verlagert sich das ästhetische Bewusstsein des Experiments in Richtung politischer Agitation: Zwischen 1934 und 1936 leitet er das ambulante Studententheater „El Buho“ (Die Eule). Er stellte damit wie etwa Federico García Lorca mit dem Wandertheater „La Barraca“ oder Alejandro Casona mit dem „Teatro de las Misiones Pedagógicas“ die Ästhetik in den Dienst der Republik: Man machte Theater in den entlegensten Dörfern, um den Bauern in Erinnerung zu rufen, dass die Republik auf sie nicht vergessen hatte. Allein, es blieb vergeblich. Lorca wurde 1936 von den Falangisten ermordet. Aubs Studententheater mutierte im Bürgerkrieg zum Fronttheater. Erfahrungen, die auch in den zweiten Band des Magischen Labyrinths „Theater der Hoffnung“ (Campo abierto) eingeflossen sind. Hier ging es nicht mehr um ein Experiment, die Kunst trat wieder einmal in den Dienst der Aufklärung. Nach der Erhebung der Faschisten in Spanien wurde Aub als Kulturattaché nach Paris berufen. Von ihm stammte der Auftrag an Picasso, ein Wandgemälde für den spanischen Pavillon der Weltausstellung in Paris 1937 zu schaffen: „Guernica“ wurde geboren. Doch die politischen Machthaber zeigten sich unbeeindruckt von dem riesigen Ölgemälde, das die Verwüstungen durch die Bombardements der deutschen Legion Condor in dem gleichnamigen Dorf veranschaulichte. Die Appeasement-Politik der Zugeständnisse an die Faschisten warf ihre ersten Schatten. Max Aub unternahm einen zweiten Versuch: 1938/39 dreht er zwischen den Bürgerkriegsfronten mit André Malreaux den Film „Sierra de Terruel“, auch dies ein Versuch, der Weltöffentlichkeit ein Bild von den Verheerungen durch den spanischen Bürgerkrieg zu vermitteln. Doch die totale Verfolgung und Vernichtung aller republikanischen Kräfte durch die siegreichen Falangisten machte auch nicht vor Aub halt: Nachdem ihm die Flucht nach Frankreich gelungen war, wurde er als Kommunist denunziert und im Stadion Roland Garos, bzw. im Konzentrationslager Le Vernet interniert. Laut vorsichtigen Schätzungen wurden nach Francos Einmarsch in Madrid noch 200 000 Republikaner in Lagern und Gefängnissen ermordet. Aub hätte einer von ihnen sein können. Aus dem algerischen Konzentrationslager von Djelfa gelang ihm dank der Intervention von John Dos Passos endlich die Flucht nach Mexico. 
Auf der Überfahrt von Casablanca nach Vera Cruz im September 1942 arbeitet Aub an dem späteren fünften Band des Labyrinths „Am Ende der Flucht“ (Campo francés)“. In einer Vorbemerkung schreibt Aub lakonisch „Dabei wechselte ich direkten Weges vom Filmset ins Konzentrationslager“. Der Einfluss der filmischen Montage in der Prosa ist hier evident: die Kunst des Kinos hätte den Roman seiner Zeit sehr geprägt, so Aub: „Sie liegt in der Tätigkeit des Regisseurs mit räumlichen und zeitlichen Dimensionen zu operieren.“ In der drehbuchartigen Szenenmontage werden Kino-Wochenschauen, Radio-Nachrichten, Zeitungsnachrichten, neben Kameranweisungen und Dialogpassagen zusammengestellt. Es beginnt mit der Überstellung spanischer Truppen in französische Konzentrationslager. Kern der Geschichte bildet hier die Verwechslung des ungarischen Immigranten Jules, der versehentlich für seinen Bruder Jean, einem Teilnehmer am Bürgerkrieg gehalten und inhaftiert wird. Die Nähe zur eigenen Weltenfremdung liegt hier auf der Hand. Erich Hackl nannte Aubs filmische Ambitionen im Krieg „eine Kunst der Dringlichkeit, die auf unmittelbare Wirkung abzielt“. Für Aub war der Bürgerkrieg nie wirklich zuende, er schrieb weniger von einem Ort der Verbannung aus, als „in einer gedachten Verlängerung der kriegerischen Umstände“ (José Luis L. Aranguren). Die Beherrschung der filmischen Montagetechnik kam ihm da zugute, wo er reales und fiktives Materials verdichtet wie noch deutlicher im letzten Band des Labyrinths „Bittere Mandeln“ (Campo de los Almendros) 
sichtbar: Der Band erschien 1968, nachdem Aub 15 Jahre lang alle verfügbaren Zeitzeugen zu den letzten Kriegstagen in Alicante befragte, dem letzten offenen Hafen der Republikaner, in dem die Flüchtlinge vergeblich auf Evakuierungsschiffe der Engländer und Franzosen warteten. Die Schicksale von bekannten Figuren, aber auch von Namenlosen werden hier verfolgt. Hier zerfließt auch eine klare zeitliche Ordnung innerhalb der Romanstruktur: die Zeit und die Schicksale verlieren sich in einem ziellos und bedeutungslos gewordenen Geflecht einer menschenunwürdigen Raum-Zeit-Unordnung: Die Faschisten haben gesiegt. Inmitten von Menschenmassen voller atomisierter und zerstörter Existenzen erübrigt sich die Suche nach einem ordnenden Erzählstrang, Figuren flackern auf und verglimmen wie die Pechkugeln auf den Hörnern des Feuerstiers von Viver de las Aguas. Der Autor ist von dem Gewicht der Geschichte erdrückt, unsichtbar geworden und lässt sein Material aus dem Formenfundus aus Theater, Film , Nachrichten, Kolportage, Wochenschau für sich stehen. „Campo“ – so das magische Wort, das alle Romantitel im Original durchzieht, heißt auf deutsch „Feld, Erde“, aber auch „Lager“. Hier im letzten Band wird das Gewicht dieses Wortes noch einmal betont: „Ich glaube, die Erde ist aus dem Staub der Toten gemacht“. 
In seiner neuen Heimat arbeitete Aub in den 40er und 50er Jahren neben der schriftstellerischen Produktion kontinuierlich im Filmgewerbe: als Drehbuchautor, Regisseur und Übersetzer. Und er unterrichtet Filmtheorie und Filmtechnik. Daneben war er in den Jahren 1965 und 1969 Jurymitglied der Filmfstspiele Cannes. Sein Werk, das annähernd 40 Theaterstücke, 12 Romane und ebenso viele Erzähl- und Essaybände umfasst, wurde in Mexico wohlwollend aufgenommen, doch mit Fortdauer des Exils in Mexico kamen ihm sowohl die Leser wie auch die spanische Gesellschaft abhanden. Sogar 1958, als seine Mutter stirbt, wird ihm vom Generalissimo Franco die Einreise verweigert. 1969 betrat er erstmals wieder spanischen Boden. In seinem Tagebuch „Das blinde Huhn“ schrieb er: „Du weinst, […] weil hier keiner dein Werk kennt, es hat hier kein Zuhause.“ Max Aubs Zuhause war die Unrast und deren Verortung: im Labyrinth.

erschienen in Buchkultur, 2003