30 Jahre nach Francis Fukuyamas Vision
Gestaltung: Johannes Gelich
Salzburger Nachtstudio
1. Juni 2022, 21:00
Für die einen war seine These vom Ende der Geschichte ein Plädoyer für liberale Demokratien, für die anderen eine euphorische Affirmation des imperialistischen Kapitalismus: Vor genau 30 Jahren erschien Francis Fukuyamas viel diskutiertes Buch „The End of History and the Last Man“. Beeinflusst vom Zusammenbruch der UdSSR vertrat der US-amerikanische Politikwissenschafter die Meinung, dass sich die liberale Demokratie gegen alle anderen Staats- und Wirtschaftssysteme durchgesetzt habe. Fukuyamas These lautete, dass sich gerade vermeintlich starke autoritäre Herrschaftsformen nicht an der Macht halten könnten, da ihre Macht nicht legitimiert sei und das Wohlstandsniveau in jenen Staaten notgedrungen zurückbleibe.
Das Modell der liberalen Demokratien mit freien Wahlen, Gewaltenteilung und Respektierung der Menschenrechte sei das universale Erfolgsmodell am Ende des 20. Jahrhunderts. Mit dem Sieg dieses Modells entfalle, so prognostizierte Fukuyama vor 30 Jahren, in Zukunft der Kampf um Anerkennung durch Kriege und damit auch der Motor der Geschichte. Spätestens nach dem 11. September 2001 und den darauffolgenden Kriegen im Irak und in Afghanistan geriet Fukuyamas These ins Wanken. Einer seiner bekanntesten Kritiker, der US-amerikanische Autor und Politikwissenschafter Samuel P. Huntington, befand im Buch „Kampf der Kulturen“, dass traditionelle tribale Kulturen und religiöse Fundamentalismen den liberalen Demokratien viel stärkeren Widerstand entgegensetzten als Fukuyama angenommen hätte.